Wie ich Herrn Engel von der Zentralen Karma Agentur kennenlernte

Eines morgens las ich einen Facebookpost auf http://wiolife.ru/ mit der Nummer 1879. Er gab mir den Impuls, ein hierzulande etwas schwer verdauliches Thema wie Karma und Reinkarnation auf eine etwas lockere und humorvolle Art zu behandeln. Ich habe die Idee aufgenommen und meine eigene Variante verfasst. Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen und freue mich auf deine Rückmeldung, falls du noch mehr von Herrn Engel lesen möchtest.

 

„Wie, haben Sie diesen Namen nicht?“ fragte ich tonlos den älteren freundlichen Engel. „Das kann nicht sein! Schauen Sie bitte noch mal in Ihrem System nach.“

Der Engel nahm seine Brille ab und lächelte mich an. „Nein, einen Eintrag mit solchem Namen habe ich nicht. Sie können davon ausgehen, dass ich die penibelste Ordnung in unserem Ablagesystem halte, schließlich muss ich jedes Jahr zum Mitarbeitergespräch. Sie wissen schon bei wem. Einmal in jüngeren Jahren ist mir ein Malheur passiert, da habe ich die Beutelchen mit den Runen, ach nein, das waren doch die Pergamentfolianten, verwechselt. Da hat mich die Chefin zu einer Weiterbildung geschickt. „Über die Wichtigkeit der effizienten Ablage bei karmischen Vorgängen. Das hat mir so viel gebracht, dass ich mich seitdem jedes Jahr freiwillig zu einem Weiterbildungsseminar melde.“

Ich war vollkommen irritiert. „Wieso Chefin? Ich dachte …“

Der Engel schaute mich über den Brillenrand an. Komisch, gerade eben hielt er sie doch in seinen Händen. Das verschmitzte Lächeln meines Gegenübers lies nichts Gutes ahnen. „Das denken viele. Wir haben hier eine klare Aufgabenteilung auf der obersten Etage. Der Chef ist für die Ideen, Impulse und Potenziale zuständig. Er sitzt den ganzen Tag im Ideenlabor und kommt nur nach Feierabend zu uns auf einen netten Plausch. Die Chefin kümmert sich um die Umsetzung der Projekte, macht das Reporting, Controlling und das Troubleshooting. Sie ist eine richtige Macherin. Ihr würdet sagen, eine gute Managerin. Oder erlauben Sie mir den Vergleich, glauben Sie, dass Sie nur aus einer bloßen Idee Ihres Vaters entstanden sind? Wie oben, so unten. Moment, Sie schauen so blass aus, ist Ihnen schlecht?“

Ich bewegte vorsichtig die fluoreszierend wabernde Substanz, aus der jetzt meinen Körper bestand „Wo bin ich denn hier gelandet?“

„Sie sind hier bei der Zentralen Karma Agentur, kurz ZKA. Und ich bin der zuständige Engel für Ihre weitere Disponierung. Wo war ich denn stehen geblieben? Ach ja, über die Zeit bekamen wir ein Karteikartensystem. Ein Riesenstress, sage ich Ihnen. Der Chefin sei Dank, dass sie uns mit einem Computersystem ausgestattet hat. Und der Steve hat den Job bekommen, uns regelmäßig zu schulen.“ Der Blick von Herrn Engel richtete sich auf das Logo mit dem angebissenen Apfel am unteren Computerrand. „Ich wüsste gerne, wie so ein Apfel schmeckt“, murmelte der Engel vor sich hin.

Ich habe versucht, die aufsteigende Panik zu ignorieren. „Wenn es mich in Ihrem System nicht gibt, wen gibt es denn dann?“

„Jemand, der sich für NN ausgibt, wie Sie sich gerade vorgestellt haben.“ Der Engel seufzte tief. „Ich habe zig Gigabytes an Einträgen von Menschen wie Sie, meine Liebe. Diejenigen, die vor ihrem Tod gestorben sind. OK, lassen Sie uns alles Schritt für Schritt überprüfen, junge Dame.“

Mein Lächeln fiel ziemlich verkrampft aus. „Ich wurde 58 Jahre alt.“

„Sage ich doch! Alles, was noch ein zweistelliges Alter hat, ist jung und dynamisch.“ Der Blick des Engels konzentrierte sich auf den Bildschirm. „So, ab ovo sozusagen, von Anfang oder dem Ei an. Hm, das ist ja Kleinkram, kaputt gefahrene Puppenwagen, Kratzen und Hauen im Kindergarten, die turbulente Teenagerzeit. Ah, jetzt habe ich etwas Wichtiges gefunden. Sie hatten in der Abiturklasse eine schöne Liebesbeziehung mit dem Klassensprecher.“

Ich war entsetzt. „Ich war doch noch sehr jung. Und das war keine richtige Liebe.“

„Und woher wissen Sie, ob es eine richtige oder falsche Liebe war? Haben Sie die Beziehung gelebt oder nur auf einen Prinzen auf weißem Pferd gewartet? Nein, Sie haben den Klassensprecher Ihrer besten Freundin überlassen, weil der junge Mann gar nicht wusste, welche Gefühle Sie ihm gegenüber hatten. Es gibt doch die drei magischen Worte, die jeder Mensch seinem Partner jeden Tag sagen sollte.“

Meine Wut färbte meinen neuen Körper in eine rosarote leuchtende Farbe. Mist, das habe ich gar nicht erwartet. „Na und, die beiden haben sich nach einem Jahr ohnehin getrennt.“

Der Engel wurde ernst. „Fräulein, merken Sie, dass es hier nicht um die anderen, sondern um Sie und Ihr Leben geht? Wie haben Sie sich in der obigen Situation verhalten?“

Ich spürte einen Kloß im Hals. „Ich habe mich ganz schön doof angestellt. Ich bin mit den beiden ausgegangen und dabei mein Pokerface aufgezogen, um leichter vorzugeben, dass es mich nicht berührt. Und wenn sie miteinander Streit hatten, habe ich die beiden getröstet.“ Der Sog im Nasenbein machte sich zwar deutlich bemerkbar, doch meine Tränendrüsen funktionierten nicht mehr.

„Sehen Sie, junge Dame. Das meine ich damit, dass Sie zum ersten Mal sich und Ihre Gefühle ernsthaft „verraten“ haben. So viel Ignoranz ist doch nicht gesund! Was hätten Sie gemacht, wenn Sie noch eine Chance gehabt hätten?“

„Ich hätte die Freundin umgebracht, das schwöre ich Ihnen!“ Die Worte verließen meinen Mund, bevor ich überhaupt dessen bewusst wurde. Funktionierte noch mein Gehirn richtig?

Der Engel drehte sich einmal im Kreis auf seinem Bürostuhl. „Hurra, Sie haben es begriffen! Ich meine nicht, dass mit dem Umbringen, nein, das würden Sie nicht tun. Ich meine die Entschlossenheit, für Ihr persönliches Glück einzustehen. Wie viele solche Beziehungen hatten Sie denn in den nachfolgenden Jahren?“

„Hm, vielleicht fünf?“ Ich mochte es nicht mehr, mein Leben so deutlich zu sehen.

„Tja, wie ich sehe, alle mit dem gleichen Ergebnis. Jetzt gehen wir weiter. Nach dem Abitur wollten Sie gerne Medizin studieren, sind jedoch knapp gescheitert. Wieviel genau war der Numerus Clausus für Ihre Lieblingsuniversität?“

„Der NC war damals 2,1 und meine Durchschnittnote 2,2. Ich hatte einfach Pech gehabt.“ Wie lange dauerte noch dieses Verhör? Welche Überraschungen warten noch auf mich?

„Deswegen haben Sie Sozialpädagogik studiert, statt das Jahr darauf neu zu versuchen, als der Numerus Clausus 2,3 war. Welchen Bezug hatte denn dieses Studium zu Ihrem ursprünglichen Wunsch Ärztin zu werden?“

„Ich wollte gerne Menschen helfen. Und bin schließlich im Kindergarten gelandet. Als Erzieherin.“

„Dort sind auch Menschen. Nur kleine und sehr junge.“ Bei diesen Worten rutschte mein nicht vorhandenes Herz in die imaginäre Hose. Ja, ich habe großen Respekt vor Herrn Engel. „Außerdem hatte meine Mutter immer gesagt, dass ich das Medizinstudium nicht packe.“

„Haben Sie dafür Fakten, junge Dame? Uns ist es völlig egal, ob jemand behauptet, dies oder jenes zu können oder nicht zu können. Bei uns zählen nur die ZDF: Zahlen, Daten, Fakten. Schließlich sind wir eine zertifizierte öffentliche Agentur und werden vom Steuerzahler, pardon, von der Schöpferkraft beauftragt.“

Der Engel scrollte mit der Computermaus weiter. „Kommen wir nun zu Ihren Wünschen und Talenten. Zuerst die Wünsche. Sie wollten mit 30 ein schickes Tattoo auf den Oberarm stechen lassen. Was war der Grund, warum Sie es nicht gemacht haben?“

„Ich weiß es nicht mehr, ehrlich.“

„Dann helfe ich Ihnen gerne auf die Sprünge. Kann es sein, dass Ihr damaliger Lebensgefährte Ihnen davon abgeraten hat?“

„Oh, jetzt weiß ich es. Er meinte, dass nur Primitive so etwas machen würden. Außerdem würde ich nicht jünger werden, sodass bei erschlaffender Haut …“

„Wir reden hier vom Oberarm und nicht anderen Körperteilen, die bei mangelnder sportlicher Betätigung tatsächlich die Gefahr laufen, der Gravitationskraft zu unterliegen. Selbst dann wäre es Ihr Körper und nicht der von Ihrem Ex.“

„Wie sprechen Sie überhaupt mit mir! Sie übertreten Grenzen, Herr Engel!“

„Wenn Sie es wünschen, können Sie sich über mich und meine Vorgehensweise bei der Chefin beschweren. Sie würde sich sehr freuen, Sie persönlich kennenzulernen.“ Das wollte ich nun doch nicht. Wer weiß, was einen dabei erwartet.

„So, dann machen wir weiter. Welche Hobbys haben Sie gehabt?“

„Ich wollte gerne Schießen oder Singen lernen.“

„Schusswaffen, Armbrust oder Bogen? Klassisch, Rock, Pop oder Musical? Da Sie gar nicht experimentiert und Ihre Talente nicht gefördert haben, haben Sie auch keine Gefühle für dieses oder jenes entwickeln können. Ich sehe jedenfalls keine entsprechenden Einträge.“

„Wie, speichern Sie auch Gefühle ab? Was hat es denn mit Ihrem ZDF zu tun.“ Was für ein komischer Laden. Ich war jetzt doch sehr verwirrt.

„Menschen und Tiere haben Gefühle. Wenn ein Kind geboren wird, bekommen wir die Gefühle der frisch gebackenen Eltern mit, die dann aus ihrer Liebe heraus in der Regel ihr Bestes tun, um für den neuen Erdenbürger zu sorgen. Ihre eigene Liebe für das kühle Naß führte Sie doch dazu, dass Sie eine sehr gute Schwimmerin geworden sind. Jede menschliche Handlung wird durch Gefühle begleitet. Und wir haben bei der ZKA eine gesonderte Abteilung für die Gefühlsberatung der Kandidaten.“

„Kandidaten für die Hölle, meinen Sie?“ Ich wusste es doch, dass es einen Haken gab. Hilfe, Mama, wo bist du!

Das schallende Lachen des Engels verschlimmerte meine Verfassung. „Liebes Kind, wie viele solcher Märchen hast du denn gehört? Es geht darum, dass ihr euer Leben lebt. Mit welchen fadenscheinigen Begründungen schiebt ihr das Leben vor sich her: die Mama hat Versagensängste eingejagt, der Papa hat sich nicht um dich gekümmert, der Ex hat dies gesagt, die beste Freundin jenes, am Prüfungstag hat es geschneit, an einem anderen Tag schien die Sonne, du hattest keine Zeit, kein Geld, kein Interesse.“

Herr Engel wurde auf einmal sehr nachdenklich und sank in seinen Stuhl. „Wir haben hier unfassbare Statistiken zusammengetragen: jeder Dritte lebt nicht sein eigenes Leben. Wir haben schon eine Task Force einberufen, die Schutzengel sind ständig in Weiterbildungsseminaren, wenn ihr schlaft.“

Mir wurde auf einmal sehr warm ums Herz. „Oh, heißt es, dass ich auch einen Schutzengel habe? Warum habe ich bloß ihn nicht bemerkt?“

Mein Berater und Disponent richtete sich auf. „Jetzt stellst du richtige Fragen, mein Kind. Hast du bei wichtigen Entscheidungen nur auf deinen Verstand gehört, oder hast du dein Herz miteinbezogen? Wie sieht es mit regelmäßiger Stille und Meditation aus? Hast du Kurse oder Seminare besucht, um dein Leben und seine großen Linien besser zu verstehen?“

Ich lächelte Herrn Engel an. „Ich verstehe, wenn schon bei der ZKA Schulungen und Weiterbildungen stattfinden. Wie oben, so unten.“

„Du hast es begriffen. So, jetzt gehst du mit diesem Laufzettel erstmal in die Erholungsabteilung. Dort wirst du eine schöne Zeit mit Wolkenmassagen, Regenbogensauna, Gemeischaftsspielen und süßem Nichtstun haben. Anschließend wirst du in die Reiseabteilung gehen, um ein neues Ticket zu buchen.“ Mein entzücktes Lächeln auf den Lippen erstarrte zu einer Grimmasse.

„Wieso ein neues Ticket? Ich denke, es gibt nur ein Leben. Oh, bitte, bitte, ich möchte gerne für immer in der Erholungsabteilung bleiben.“

„Nein, das geht nicht, mein Kind. Die Reiseabteilung ist für alle zuständig. Oder dachtest du, dass nur bestimmte Menschen das Rückticket bekommen?“ Ja, natürlich dachte ich das. Nur die Inder, Tibeter, Indianer, ach, was weiß ich, wer noch.

Während der Drucker meinen Laufzettel mit wohl tönendem Klang bedruckte, ging ich in die letzte Offensive. „Das können Sie nicht tun, mich zurückschicken! Das ist ja eine Strafe, das Leben, was ich nicht gelebt habe, noch einmal zu leben. Oh, Mann, ich bin wohl eine Versagerin ohne Gleichen.“

Herr Engel schaute mich mit seinen strahlenden Augen an und legte seine warm pulsierende Hand auf meinen Oberarm. Auf den, wo vor vielen, vielen Jahren eigentlich das Tattoo hin sollte. „Es gibt bei der ZKA keine Strafen und du hast nicht versagt. Meinst du, jeder von euch kann nur in einem Leben alles lernen, erfahren und erledigen, was er gerne wollte? Deswegen bekommt jeder eine neue Chance. Immer wieder. Nutze jetzt deine!“

In diesem Augenblick wusste ich es, dass es genau so war. Das war eine uralte Erkenntnis, die tief in mir schlummerte, die ich mit meinen Ängsten und Unsicherheiten verschüttet hatte. Herr Engel begleitete mich zur Tür und umarmte mich zum Abschied. Ich bin von keinem anderen Wesen mit so viel Liebe und Verständnis verabschiedet worden. „Tschüß, wir sehen uns, Herr Engel.“ Als ich mit dem Laufzettel in der Hand den Raum verließ, pochte mein imaginäres Herz ganz heftig. Ja, eine kurze Pause, und dann werde ich mein neues Leben leben. So wie ich es gerne möchte. Darauf können sich die ZKA und mein Herr Engel verlassen.

2 Comments

  • Kirsten Waldeck

    Reply Reply 29. Januar 2016

    Danke Bolormaa für Deine amüsante Geschichte! Sich selbst zu lieben und zu achten, Mitgefühl zu leben. Zu begreifen, dass wir alle göttliche Wesen sind. Das sind immer wieder Herausforderungen, deren Ergebnis das Glück auf dieser Welt verbreiten können.
    Warum wird davon fast nichts in der Schule gelehrt? Ich träume von einer Welt, in der Reiki ein Pflichtfach ist.

    • Bolormaa

      Reply Reply 29. Januar 2016

      Es freut mich, Kirsten, dass dir diese Geschichte gefallen hat. Mein Ansinnen war, genau wie du es erkannt hast, das Thema Mensch als göttliches Wesen, welches immer wieder unterschiedliche Lebenserfahrungen macht, auf die Metaebene zu stellen.

      Vielleicht wird es eines Tages an Schulen die Reinkarnationslehre, die ja schon längst wissenschaftlich nachgewiesen ist, unterrichtet. Und Reiki als ein weiteres Schulfach, zur Entfaltung der Persönlichkeit und Erhaltung der Gesundheit. Ich habe von einer Reiki-Lehrerin gelesen, die im Rahmen einer Projektwoche interessierten Gymnasiasten Reiki, Meditation und achtsamen Umgang mit sich und anderen beigebracht hat. Das ist doch ein gutes Beispiel für uns alle, die Reiki und Rainbow Reiki(r) unterrichten, oder?

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